Interview mit
Sr. M. Alessandra Kempf
Gegen Ende des letzten Jahres hören wir Marienschwestern in Quarten, dass eine Mitschwester von der Niederlassung in Weesen Corona-Symptome hat. Sie lässt sich testen und bekommt einen negativen Bescheid. Das beruhigt uns, und die Provinzleitung macht dort ihren Weihnachtsbesuch.
Am 6. Januar bittet der Heimleiter von Weesen dringend um Hilfe: alle 14 Schwestern sind positiv, ein Teil der Frauen mit Behinderung, die ebenfalls dort wohnen, und einige von den Mitarbeitenden ebenfalls.
Sr. M. Alessandra, wie ging es danach weiter?
Unsere Provinzoberin fragte mich morgens, ob ich bereit sei, nach Weesen zu gehen. Ich antwortete sofort mit Ja. Nichts wie los, ich wollte helfen, das war keine Frage! Nachmittags war ich bereits auf dem Weg dorthin. Ich übergab alles der Gottesmutter und bat sie, dass ich mit meiner Art und meinem Tun helfen kann. ‒ Bedenken hatte ich schon: Wie stelle ich mich an? Ich bin jetzt Schneiderin und viele Jahre habe ich nicht mehr als Pflegende gearbeitet. Was hat sich alles verändert? Wie reagieren meine Mitschwestern, wenn ich plötzlich komme? Trotz allem: Ich war von froher Erwartung erfüllt: Was kommt auf mich zu? Was darf ich in dieser Zeit lernen?
Was hast Du in den knapp drei Wochen vor allem getan?
Meine Aufgabe bestand in der Pflege: Den Mitschwestern helfen bei der täglichen Hygiene, Essen bringen, Medikamente verteilen … Da alle Schwestern in ihren Zimmern bleiben mussten und sich allein fühlten, war es mir auch wichtig, mit ihnen zu reden und auf ihre Sorgen einzugehen. Die dementen Schwestern galt es zu beruhigen und mir Zeit für sie zu nehmen. Ein Geschenk war für mich, dass später eine weitere Mitschwester von Quarten zum Helfen kam. Sie hat die Betreuung übernommen.
Welches war eine besondere Herausforderung bei deinem Einsatz?
Da mit der Zeit fast alle Mitarbeitenden krank wurden, mussten wir mit Aushilfen arbeiten und wir wussten ja selber nicht Bescheid. Das war schon eine echte Herausforderung! Zudem war es für mich nicht einfach, keine Ahnung zu haben, wie der Verlauf der Krankheit bei den einzelnen Mitschwestern sein würde. In kurzer Zeit kann sich das Krankheitsbild verändern, und man muss darauf reagieren. – Da der Hausgeistliche keine hl. Messe zelebrieren durfte, fehlte uns auch dies sehr. Ein Geschenk war es, dass wir doch über Internet mitfeiern konnten.
Während dieser Zeit sind Sr. M. Agath Kobler und der Hausgeistliche gestorben. Wie hat das auf dich und auf die erkrankten Mitschwestern gewirkt?
Es gibt für mich zwei Seiten. Eine Seite ist, dass wir auf die liebende Vorsehung Gottes vertrauen dürfen; unser himmlischer Vater lässt nichts zu, was nicht in seinem Plan ist. Auf der anderen Seite fragte ich mich: Habe ich richtig reagiert? Was hätten wir vielleicht noch tun können? – Beeindruckt hat mich Sr. M. Agath vor allem durch ihr Mitgehen, ihre Bereitschaft, einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Als sie im Krankenhaus gefragt wurde, ob sie einen Wunsch habe, antwortete sie: Dass ich ja sagen kann! – Als unsere erkrankten Mitschwestern von ihrem Heimgang gehört haben, war die Reaktion verschieden. Natürlich wurde uns allen der Ernst der Lage bewusst! Trotz allem: Ich habe gestaunt, wie die Schwestern auch dieses Sterben im Lichte Gottes gesehen haben.
Welche positiven Erfahrungen hast du bei diesem außergewöhnlichen Einsatz gemacht?
Der liebe Gott und die Gottesmutter haben mich sehr beschenkt: Die Mitarbeitenden haben mich selbstverständlich, dankbar und positiv aufgenommen. Die Aushilfen waren meistens junge Frauen, und es beeindruckte mich, wie sie selbstverständlich und froh angepackt haben. Sehr schön war auch, dass meine kranken Mitschwestern sich freuten, dass wir von Quarten da waren. Eine positive Überraschung war, dass ich meinen alten Beruf noch immer liebe und er mir viel Freude macht.
Nach Deinem Einsatz bei unseren Schwestern in Weesen ergab der Corona-Test, dass du auch erkrankt bist. Du musstest für 10 Tage in die Quarantäne. Wie war diese Erfahrung für dich?
Auch da gibt es zwei Seiten: Ich hatte die Chance, das Erlebte dieser Tage in Weesen zu verarbeiten und Gott und der Gottesmutter zurück zu schenken. In dieser kurzen Zeit gleich zwei Mitmenschen zu verlieren, ist nicht ganz einfach. Auch dass ich so zur Ruhe kommen durfte, war ein Geschenk. Die vergangenen drei Wochen waren schon intensiv und es hat Kraft gekostet.
Die andere Seite: Mit der Zeit wurde es mir dann doch etwas zu einsam nach den vorher so gefüllten Tagen. Meine Mitschwestern waren aber so nett und haben immer wieder angerufen!!! Ja und jetzt schaue ich wirklich dankbar auf diesen Einsatz zurück. Diese Tage bei unseren Corona-erkrankten Mitschwestern werde ich sicher nicht so schnell vergessen!