Die Schönstattfamilie Australiens versammelte sich in diesem Jahr zur jährlichen Führertagung beim Heiligtum in Mulgoa, Sydney. Schw. M. Thomasine Treese gab eines von vier Zeugnissen zum Thema:
„Wie hat Schönstatt mein Leben inspiriert?“
Er hörte mit großem Interesse zu.
Schon bald hatte ich die Gelegenheit, ihm meine Lebensgeschichte vorzulesen, 90 Seiten in meinem Notizbuch. Er wollte jedes Wort davon hören und das gab mir ein gutes Gefühl. Es gab wirklich nichts Aufregendes in meinem Leben von 22 Jahren, und doch nahm er alles mit großem Interesse auf. Es entstand eine dichte, fast heilige Atmosphäre, während ich Seite um Seite las und er meinen holprigen Worten lauschte. Als ich am Ende angelangt war, fragte er mich, ob ich mein Gewissen erforschen wolle, damit er mir die Absolution erteilen könne. In seinem Gebet bat er den himmlischen Vater um Weisheit und Verständnis, damit er mich dorthin führen könne, wo Gott mich haben wollte.
Ein einfaches Gebet und doch überwältigte es mich, dass sich dieser große Gründer einer weltweiten Bewegung vor Gott beugt und ihn um die Gnade bittet, diese junge Person zu verstehen und sie Gottes Wege zu führen. Dieser Augenblick hat sich tief in mein Herz eingegraben. Von da an war er nicht mehr nur der große Gründer, sondern das Sprachrohr Gottes, die Person, die Gott benutzen würde, um mir seinen Willen und Wunsch mitzuteilen. Er war sein Transparent.
Auf die Zeichen der Liebe Gottes achten.
Jetzt kannte mich Pater Kentenich in- und auswendig. Das gab mir Sicherheit, denn bei ihm konnte ich ganz Ich-selbst sein, ohne mich zu verstellen. Einmal bat ich ihn, mir einen passenden Vorsatz für meine Selbsterziehung zu geben. Ich erwartete, er würde mir das geben, wodurch mein Leben verändert werden könnte.
Er sagte: „Achten Sie jeden Tag auf die Zeichen der Liebe Gottes zu Ihnen.“ Ich war verblüfft und dankte ihm höflich. Aber tief in meinem Herzen war ich nicht zufrieden. Ich hielt das nicht für einen richtigen Vorsatz. Ich hatte erwartet, dass er mir ein paar konkrete Punkte nennen würde. Da ich mit einem solchen Vorsatz nichts anfangen konnte, brachte ich bei meinem nächsten Besuch meine Schwierigkeiten vor: Es ist viel zu allgemein. Nur auf Gottes Liebe zu achten ist nicht wirklich etwas für mich. Ich brauche etwas Konkretes, Praktisches, das ich tun und abends überprüfen kann.
Pater Kentenich hörte einfach zu und wiederholte, was er zuvor gesagt hatte: „Achten Sie den ganzen Tag über auf die Zeichen der Liebe Gottes. Abends erinnern Sie sich an mindestens eines dieser Zeichen. Dann können Sie die Frage hinzufügen: Wie habe ich auf seine Zeichen der Liebe geantwortet? Wie habe ich ihm tagsüber meine Liebe bewiesen?“
Er erkannte meine Unzufriedenheit, und ich fühlte mich schrecklich, aber so war es nun einmal.
Gott will zuerst mein Herz.
Dann erklärte er, dass Gott vorerst keine großen Taten will, statt dessen soll es Gottes Liebe zu mir sein, die mich befriedigen soll und nicht meine eigenen Leistungen. Gott will von meinem Herzen Besitz ergreifen, nicht von meinem Tun. Er weiß, wenn er eine heroische Tat von mir verlangen würde, würde ich es gerne tun. Aber er will zuerst mein Herz, die Liebe eines Kindes, eines einfachen, bescheidenen und vertrauensvollen Kindes, eines bedingungslos liebenden Kindes, das alles tun könnte, in jeder Lebenslage.
Später fügte er den ersten beiden Fragen zwei weitere hinzu:
Wie hat Gott mich verletzt – durch Menschen, Umstände usw.? Wie habe ich Gott beleidigt und es wieder gut gemacht?
Dies ist die Wurzel der Kindlichkeit, sagte er, die Eroberung der eigenen inneren Welt, wo das Kind in uns seinem Gott, dem Vater, begegnet. Es ist die Grundlage für ein fruchtbares Leben.
Warum hat mir der große Gründer einen so einfachen Rat gegeben, der mir zunächst zu einfach erschien? Er wollte sicher sein, dass Gott in mir lebendig wird als eine Person, deren Liebe ich berühren kann und erwidern soll. Dann wird sich das Handeln in der Weise entfalten, wie es das Leben verlangt.
Ich fasse zusammen: Mein Schönstatterlebnis ist ein zweifaches:
Erstens: Kind vor Gott werden.
Die lebenslange Wandlung begann damit, dass ich langsam Kind vor Gott wurde, der Vater ist und dessen Liebe und Führung für mich eine immer neue Erfahrung ist.
Gott benutzt Pater Kentenich auch heute noch, um die Flamme meiner kindlichen Liebe zu erhalten und sie zu stärken.
Ich bin unserem Vater und Gründer ewig dankbar, dass er mich – trotz meines anfänglichen Eigensinns – in die tiefste Wirklichkeit des Lebens geführt hat: Heiligkeit besteht in nichts anderem als in der Liebe des Kindes zu seinem Vater. Das ist meine Erfahrung – jeden Tag.
Zweitens: Das neue Vater-, Kindes- und Gemeinschaftsbild.
Ich erlebte unseren Gründer in der schwierigsten Zeit seines Lebens, im 13. Jahr der Trennung von seiner Gründung. Meine anfängliche Neugierde, einen großen Gründer kennen zu lernen, verwandelte sich sogleich in Ehrfurcht, Bewunderung und Staunen über die heilige Atmosphäre, die von ihm ausging. Man konnte seinen inneren Frieden und seine Harmonie, seine Gelassenheit und vor allem sein absolutes Vertrauen auf Gott und seine Führung spüren. Er selbst war zu diesem Kind Gottes geworden, das völlig leer von sich selbst und ganz geöffnet für das Göttliche war.
Deshalb hat er nach seiner Rückkehr aus dem Exil unermüdlich das große Vermächtnis und die Frucht der 14 Jahre Exil gekündet: das neue Vater-, Kindes- und Gemeinschaftsbild. Er selbst ist das Spiegelbild dieses neuen Kindesbildes- und auch des neuen Vaterbildes geworden.
Ich bin für immer dankbar, dass ich unseren Vater in der schwersten Zeit seines Lebens erleben durfte.