09.08.2023

Gott hinter allem entdecken

Schwester M. Alena Engelhardt

Nicht ich bemühe den lieben Gott,

sondern er bemüht sich um mich.

Durch den Kontakt mit einem Priester, der regelmäßig für das Vatican-magazin schreibt, wurde ich angefragt, ob ich für die Artikelserie „Unter die Haut“ einen persönlich-geistlichen Beitrag schreiben könnte.

In dieser Serie geht es um ein Wort aus der Heiligen Schrift, das einen – obwohl schon oft gelesen oder gehört – plötzlich ganz neu berührt. Das kann sein durch eine bestimmte Lebenssituation oder ein Erlebnis, durch die das Wort Gottes eine ganz neue, tiefe Bedeutung für einen bekommt.

Gern habe ich zugesagt, wenn es auch für mich eine Herausforderung war.  Ja, es gibt so ein Wort für mich und von dem wollte ich schreiben.

Gott hinter allem entdecken

Nicht ich bemühe den lieben Gott, sondern er bemüht sich um mich.

Im ersten Jahr der Corona-Pandemie sind mir die Texte der Adventsliturgie so nahe gegangen wie kaum vorher. Das war alles ganz hineingesprochen in die Zeit, wie wir sie gerade erlebten. Immer wieder gab es in diesen Monaten in meinem privaten Umfeld und in beruflicher Hinsicht Erlebnisse, die mich echt herausforderten. Da waren die Worte aus der hl. Schrift, die wir jedes Jahr hören, richtige Zuversichtsmomente. Vor allem ein Wort aus Jesaja 35 ging mir unter die Haut: „Seht, euer Gott! Er selbst kommt und wird euch retten.“ Welche Zusage!

Als ich im November 2021 nach einem Jahr Corona-Pause wieder Oasentage für Frauen in unserem Schönstattzentrum in Friedrichroda/ Thüringen anbieten konnte, lud ich die Teilnehmerinnen zu einem Bibelgespräch über diese Schriftstelle aus Jesaja (Jes 35,1-10) ein. Ich spürte, der Text traf genau in die Lebenssituation der Frauen.

Besonders das Zeugnis einer Frau hat mich sehr berührt. Sie war das erste Mal dabei, stammt aus Brasilien und lebt seit 30 Jahren in Thüringen. Durch ihre Mutter kannte sie das Schönstattkapellchen mit dem Bild der Dreimal Wunderbaren Mutter in Sao Paulo. Aus beruflichen Gründen kam sie nach Deutschland, lernte hier ihren Mann kennen und blieb. Ihre Mutter redete ihr oft zu, doch einmal nach Schönstatt/ Vallendar zum ersten Schönstattheiligtum und Ursprungsort der Bewegung zu fahren. Aber ihr war das immer zu weit. Dann kam für sie eine sehr schwierige Familiensituation, wo sie einfach nicht weiter wusste. An wen sollte sie sich wenden? Wer würde sie verstehen und ihr helfen? Auf einmal hatte sie das Empfinden:

„Ich brauche die Gottesmutter. Ich muss zu ihr.
Ich muss in ein Schönstattkapellchen.“

Schönstatt selbst war ihr immer noch zu weit weg, aber über Google fand sie das Schönstattzentrum in Friedrichroda mit der Marienkapelle. Für sie ein Geschenk des Himmels.

Genau das, was ich brauche.

Genau das, was sie brauchte und genau zur richtigen Zeit. Als sie im Kapellchen saß, war sie einfach nur glücklich. Sie erbat sich von einer meiner Mitschwestern, die sie dort kennenlernte, ein Marienbild für zu Hause. Seitdem, so erzählte sie, hat sich etwas verändert: In ihr und auch spürbar in ihrer Familie. Inzwischen hat sie Anschluss gefunden an die Schönstattbewegung Frauen und Mütter in Thüringen. Die Freundschaften, die da entstanden sind, geben ihr viel Halt und Kraft, denn noch manche Herausforderungen hat sie zu bewältigen.

Das Miterleben, wie Gott bei dieser Frau rettend eingreift, hat mich selber neu gestärkt im Glauben: 

Gott ist da, mitten in unserem Leben.

Eigentlich hat mich dieses Lebensgefühl schon von Kindheit an begleitet.

Es gibt eine Begebenheit im Leben meines Großvaters, die oft bei Familienfeiern erzählt wurde. Eine Geschichte unglaublicher göttlicher Fürsorge, die ihn geprägt hat. Er war im zweiten Weltkrieg als Kriegsgefangener in Frankreich in einem Lager. In einer Nacht hatte es sehr gestürmt und dabei wurde von einem Quartier das Dach abgedeckt. Am anderen Morgen sollten alle Gefangenen zum Minen lesen auf ein Feld. Mein Großvater, der Zimmermann von Beruf war, musste im Lager bleiben und das Dach neu decken.

An diesem Morgen kam keiner vom Minenlesen zurück. Mein Großvater überlebte, weil er das Dach neu decken musste. Viele Traumata der Kriegserlebnisse hatte er später zu bewältigen. Es gab ja keine psychologische Betreuung für die Kriegsheimkehrer. Sie mussten mit allem selber fertig werden. Aber sein Glaube und Vertrauen auf Gott waren tief in ihm. So haben wir ihn als Enkelkinder erleben dürfen: ein liebenswürdiger, tief gläubiger Großvater.

Ein so außergewöhnliches Zeichen der Führung Gottes zu erleben, ist beeindruckend.

Große und kleine „Rettungspakete“.

Aber es sind nicht immer große Ereignisse und riesige Rettungspakete, durch die Gott sich erfahrbar macht. Viel häufiger sind es kleine alltägliche Dinge.

Bei einer Heimfahrt von einer Veranstaltung ist mein Auto von jetzt auf gleich stehengeblieben. Nichts ging mehr. Im ersten Moment war das ärgerlich, aber dann dachte ich: Was für ein Glück. Es war nicht auf der Autobahn, sondern auf der Landstraße, etwa 200 Meter nach einer Kurve, auf einer gut einsehbaren Strecke. Da konnte ich gefahrlos eine Stunde stehen, bis der Abschleppdienst kam.

Natürlich könnte man denken: bei so etwas Banalem braucht man doch wirklich nicht den lieben Gott zu bemühen. Nein, ich bemühe den lieben Gott nicht, er bemüht sich um mich. In Situationen, in denen mir die Arbeit über den Kopf wächst und ich nicht weiß, wie ich alles hinbekommen soll, fällt auf einmal ein Termin aus. In der Begleitung eines Menschen, wo ich keinen Rat weiß, und ich einfach nur durch mein Zuhören und Gebet Hilfe schenken kann, wird gerade das vom Gegenüber dankbar angenommen. Es sind diese kleinen alltäglichen Erfahrungen, die mir zeigen, wie aufmerksam Gott sich um uns bemüht.

Geheime Gottesbegegnungen in unserem Leben.

Es kommt darauf an, die „geheimen Gottesbegegnungen in unserem Leben“ zu entdecken, sagt Pater Josef Kentenich, der Gründer unserer Schönstattbewegung. Er selbst hat daraus gelebt. In den dunkelsten Situationen seines Lebens war das seine Kraft. „Gott selbst kommt und wird euch retten“, eine Erfahrung, die ihm zugewachsen ist durch seine Bindung an Maria. Sie öffnet uns die Augen für die Nähe Gottes in unserem Leben, und das verändert vieles.

In meiner Aufgabe beim Projekt Pilgerheiligtum*  darf ich das oft beglückend erfahren.

Bei dieser weltweiten Initiative wandert ein Bild der Dreimal Wunderbaren Mutter von Schönstatt in Form eines Pilgerheiligtums von Haus zu Haus, von Familie zu Familie.

Die Begegnung mit Maria und ihrem Kind in den eigenen vier Wänden schenkt vielen die Erfahrung: Gott kommt uns nahe, er kommt in unseren Alltag, er begleitet unsere Familie und jeden ganz persönlich.

Wie oft schon haben Leute erzählt:

Sie ist genau im richtigen Moment gekommen!

In unserem Leben geht nicht immer alles gut aus. Es gibt so viel Unbegreifliches, manches bleibt wirklich im Dunkeln, löst sich nicht einfach auf. Aber der Glaube an die göttliche Vorsehung schenkt die innere Zuversicht: Da ist jemand, dem bist du wichtig, der interessiert sich für dich und die kleinsten Dinge, die dein Leben ausmachen. Er trägt dich. Er möchte, dass du ihm vertraust, dass du mutig seine Hand ergreifst und mitgehst. Ja, er will, dass du es mit ihm wagst.

In einem Lied, 2021 in Schönstatt entstanden, heißt es:

„Wenn die Wolken Regen tragen, wenn es dunkel um dich wird.
Wenn der Blick im Nebel endet und kein Weg dich weiter führt.
Dann hab Mut! Ich bin da. Hab Mut! Ich bin da.
Vertrau meinem Licht. Ich bin da.“

Darin sehe ich meine persönliche Berufung. Selber immer mehr aus diesem Glauben zu leben, Gott hinter allem zu entdecken, ihm mein Ja zu schenken und ihn für andere erfahrbar zu machen. Durch mein Leben zeigen, dass Gott lebt:

„Seht, euer Gott!
Er selbst kommt
und wird euch retten.“

 

*  Schw. M. Alena ist Leiterin von Projekt Pilgerheiligtum, einer pastoralen Initiative der deutschen Schönstattbewegung

 

Artikel erschienen in: Vatican-magazin, Jahrgang 17 / Heft 7/Juli 2023