01.01.2025

Die Menschen sollen ihre Würde erleben dürfen
– 2. Teil

Sr. Ursula-Maria Bitterli
Quarten, Schweiz

Interview mit Sr. Ruth-Maria Bortis,

Brig, Schweiz  

 

Fast 20 Jahren arbeitete Sr. Ruth-Maria Bortis als Pflegefachfrau in der Spitex (spitalextere Hilfe und Pflege). Bis zu ihrer Pensionierung war sie dem Sozial-medizinischen Zentrum Oberwallis angeschlossen. Seit 2 Jahren ist sie freiberufliche Pflegefachfrau.

Du bist Schönstätter Marienschwester.

Hat das einen Einfluss auf Dein Arbeiten als Pflegefachfau?

Ja, ich denke schon. Ich arbeitete im Schwesternkleid und wurde dadurch öfters angesprochen, was ich bin und zu welcher Gemeinschaft ich gehöre. So konnte ich unter anderem von unserem Haus und vom Schönstatt-Heiligtum erzählen. Durch das Schwesternkleid ergab sich manches religiöse Gespräch oder auch ein klärendes Gespräch. So war es auch an meinem letzten Arbeitstag. Ich kam zu einem Patienten, der seine Frau kurz zuvor verloren hatte und habe ihn darauf angesprochen. Er konnte erzählen und statt der Pflege an diesem Morgen, bedeutete ihm das Gespräch mehr. Es half ihm diesen schweren Schicksalsschlag besser zu verstehen und ein neues Leben zu beginnen.

Auf allen Arbeitswegen war mir als Marienschwester das Pilgerheiligtum, die Pilgernde Mutter, meine beste Begleiterin. Unzählige Male habe ich es Patienten mitgebracht und in schwierigen Situationen dort gelassen. Immer wieder habe ich gestaunt, welch kleine und größere Wunder die Gottesmutter bewirkt hat in den Herzen der Kranken und Angehörigen. So zum Beispiel bei einem Mann, der dringend in ein Spital gehen sollte, jedoch ablehnte. Ich ging in meiner Freizeit zu ihm hin. Zunächst wollte er mich nicht in die Wohnung lassen. Als ich ihm sagte, dass ich ihm die Gottesmutter bringen möchte, schenkte er mir zuerst ein von ihm selbst gemalten Bild. Er reichte es mir aus seinem Fenster runter. Dann konnte ich ihm das Pilgerheiligtum in den Briefkasten legen. Als ich einige Tage später wieder zu ihm ging für die Pflege, erzählte er mir, was die Gottesmutter für ihn bewirkt hat, und er berichtete mir auch aus seinem psychisch kranken Leben. Er fragte mich, ob ich keine Angst habe, am Abend allein durch diese Gassen zu gehen. „Nein“, sagte ich ihm, „ich habe die Gottesmutter bei mir, mein bester Schutz!“ Und so war es auch. Einige Tage danach willigte er ein, in das Spital zu gehen, wo er kurz danach verstarb.

Ein anderes Mal hatte ich kein Pilgerheiligtum zum Mitnehmen. Als ich am Morgen einen Einsatz hatte bei einer jungen, sterbenden Frau, hatte ich die Anregung, sie noch einmal zu besuchen und ihr wenigstens das kleines Pilgerheiligtum, das eine Mitschwester mir zuvor zum Geschenk gemacht hatte, zu bringen, in der Hoffnung, dass sie bald heimgehen kann. Als ich durch verschiedene Umstände später als gedacht zu dieser jungen Frau kam, empfing mich ihr Mann. Ich zeigte ihm das kleine Pilgerheiligtum und sagte, dass ich dies für seine Frau mitgebracht habe. Er nahm es und sagte mir, dass seine Frau soeben verstorben sei. Dann stellte er das Pilgerheiligtum zu seiner Frau hin. Als ich später das kleine Pilgerheiligtum wieder abholen wollte, bat er mich, es ihm und seinem Mädchen zu lassen als Erinnerung an diesen Moment des Heimgangs seiner Frau und Mutter. So schenkte ich es ihnen. Die Vorsehung hatte mich so geführt. Möge es von dort segensreich weiterwirken!

Auch wenn ich keine Mühe habe mit neuen Begegnungen, betete ich doch stets vor der Türe der Patienten, nahm Weihwasser, segnete sie und unsere Begegnung. Einmal sollte ich bei einer Frau vorbei gehen, die stets unzufrieden war mit dem Verbandswechsel. Dies hatte sie im Büro gemeldet. Dort sagte man mir, ich solle schauen, weshalb dies bei der Frau so schwierig sei. Wieder begleitete mich Maria im Zeichen des Pilgerheiligtums. Ich nahm mir viel Zeit zum Heraushören.

Dabei entdeckte ich, dass die Frau unter dem frühen Tod ihres Enkels litt, und plötzlich konnte sie dies sehen und aussprechen. Damit war die Ursache getroffen und es änderte sich ihr Umgang dank der Gottesmutter, die ihre Herzwunde getroffen hatte, die nun zu heilen begann.

Es gäbe noch viele Beispiele und ich denke, dass dies meine tiefste Ressource war, mein bestes Arbeitsinstrument, das mein Wirken am tiefsten prägte und ausstrahlte: die Gottesmutter von Schönstatt vom Heiligtum aus – durch mein Sein als Schönstätter Marienschwester.

Seit Deiner Pensionierung bist Du natürlich, wie die meisten, nicht arbeitslos!

Wie ist es weitergegangen? Welche Aufgabe hast du jetzt?

Nach dem jahrelangen Angestelltsein in einem Betrieb, wechselte ich in die Selbständigkeit. Dazu musste ich eine Berufsausbildungsbewilligung des Kantons und viele Unterlagen einholen.

Nach einer Erholungsphase startete ich in meiner neuen Aufgabe als Freiberufliche Pflegefachfrau und begann mir mein eigenes kleines Geschäft aufzubauen, angefangen mit einer ersten Patientin, die ich mir von der Gottesmutter erbeten hatte.

Später kamen neue Patienten dazu. Nach dem vorherigen getakteten Arbeitstempo hatte ich nun die Möglichkeit, die Patienten auszusuchen, meinen eigenen Bereich aufzubauen. Ich konnte das Tagespensum selbst bestimmen und ich lernte auch noch einiges dazu an Administration. Es hat eine Verlagerung stattgefunden, da ich für alles selbst schaue, angefangen vom Erstkontakt, über die Einteilung meiner Arbeit, bis zum Rechnungen schreiben und Ausfüllen der Statistik.

Was war und ist Dir besonders wichtig bei Deiner Aufgabe als Pflegefachfrau?

Offenheit für jeden Menschen. So kamen wunderbare Begegnungen zustande, die erahnen ließen, was die Begegnung von Maria bei ihrer Base Elisabeth auslöste: Staunen, Freude und Dankbarkeit. In Krankheit erleben die Menschen vielfach ihre Abhängigkeit. Wichtig erscheint es mir darum, herauszuhören, aufzunehmen, was sie bewegt; ihnen verständnisvoll und in Liebe zu dienen, damit sie ihre Krankheit besser annehmen und sich geliebt erleben können.